Was die Koalitionspläne für Vergütung bedeuten
- Nadine Nobile
- vor 6 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Die Mitglieder der SPD haben sich klar für den Koalitionsvertrag ausgesprochen. Nun greift das Papier der kommenden Regierung, das die Weichen für zentrale Themen der Arbeitswelt stellt. Auf den ersten Blick bieten die darin enthaltenen Pläne viele positive Impulse, aber auch Widersprüche. Worauf sich nun Unternehmen in Sachen Vergütung einstellen müssen und was zu tun ist.

Mehr Netto vom Brutto, höhere Mindestlöhne, eine stärkere Tarifbindung und das klare Ziel, Entgeltgerechtigkeit bis 2030 umzusetzen. Ein verheißungsvolles Versprechen für alle Seiten. Doch Unternehmen, die Vergütungssysteme im Sinne von New Pay gestalten wollen, sind gut beraten, sehr genau hinzuschauen – und sich nicht auf einfache Antworten zu verlassen.
Steuerfreie Überstunden: Ein Anreiz in die falsche Richtung
Eine Passage im Koalitionsvertrag sorgte dabei schon vor dem Regierungsstart für besonders viel Aufmerksamkeit: die geplante Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge. „Wer freiwillig mehr arbeitet, soll mehr Netto vom Brutto haben. Wir stellen umgehend Überstundenzuschläge steuerfrei, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen“, heißt es. Klingt gut – nach einem Anreiz für Mehrleistung.
Die geplante Regelung betrifft aber nur Überstunden, die über ein tariflich orientiertes Vollzeitpensum hinausgehen. Im Klartext: Teilzeitbeschäftigte profitieren nicht, und somit vor allem Frauen, die den Großteil der Teilzeitstellen bekleiden – oft aufgrund familiärer Sorgearbeit. Wer künftig mehr „Netto vom Brutto“ bekommen will, wird also tendenziell Vollzeit arbeiten (müssen). Damit verstrickt sich die Koalition in Widersprüche zu weiteren Zielen: nämlich, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und die gerechtere Verteilung unbezahlter Sorgearbeit zu fördern. Doch wie soll dies zu einer partnerschaftlichen 80/80-Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit führen, wenn diese quasi finanziell bestraft wird?
Auch aus rechtlicher Perspektive ist diese Regelung zweifelhaft. Erst im Dezember 2024 kippte das Bundesarbeitsgericht eine tarifliche Regelung, die Teilzeitbeschäftigte benachteiligte. Aus Sicht des Gerichts stellte sie eine mittelbare Diskriminierung von weiblichen Beschäftigten dar.
Zahlreiche Stimmen aus der Community haben auf LinkedIn bereits klargestellt: Die geplante Steuerfreiheit fördert die falschen Anreize. Statt in effiziente Prozesse und Personalentwicklung zu investieren, könnten Arbeitgeber versucht sein, Überstunden als günstige Ressource zu nutzen. Hinzu kommt der psychologische Effekt: Überstunden werden Maß der Anerkennung. Wer mehr Arbeitszeit leistet, bekommt mehr Netto. Doch Studien zeigen: Dauerhafte Mehrarbeit ist kein Indikator für Produktivität, sondern oft Folge unklarer Strukturen, Überlastung oder ineffizienter Abläufe.
Unser Tipp für Unternehmen: sich hier klar positionieren. Anerkennung basiert auf Qualität und Wirkung, nicht auf Quantität der Arbeitszeit.
Organisationen sollten genau prüfen, welche Wirkungen Anreizsysteme entfalten. Welche Signale senden steuerfreie Überstunden? Welche Verhaltensweisen fördern sie – bewusst oder unbewusst? Und wie verändern sie die Unternehmenskultur?
Eine kluge Vergütungspolitik belohnt nicht nur individuelle Leistung. Sie berücksichtigt auch den Kontext, die Lebenssituation der Beschäftigten und Erkenntnisse der Motivationsforschung. So entsteht ein Resonanzraum, in dem Mitarbeitende sich gesehen, gehört und ernstgenommen fühlen.
Mindestlohn und Tariftreue: Auf dem Weg zu fairer Bezahlung
Positiv ist der Plan, den Mindestlohn bis 2026 auf 15 Euro anzuheben. Die Mindestlohnkommission soll sich dafür bei der Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren. Diese Option sieht auch die EU-Mindestlohnrichtlinie vor, ebenso wie die Möglichkeit, den Mindestlohn an 50 Prozent des Durchschnittseinkommens zu koppeln. Die Orientierung am Medianlohn ist sinnvoller, da der Maßstab stabiler bleibt. Zur Erklärung: Eine Erhöhung des Mindestlohns führt nicht automatisch zu einer Erhöhung des Medianlohns (im Gegensatz zum Durchschnittslohn).
Die Regierung möchte damit den Mindestlohn auf ein Niveau bringen, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, einen angemessenen Lebensstandard sichert und prekäre Jobs verhindert. Das ist lobenswert. Eine Analyse des WSI zeigt: Seit der Erhöhung auf 12 Euro ist der Niedriglohnsektor geschrumpft, die Löhne in Ostdeutschland sind gestiegen, der Gender Pay Gap hat sich verringert.
Doch die Anhebung bis 2026 steht bereits zur Diskussion. 15 Euro seien „möglich“, heiße es nur, so die CDU. Auch die politische Einflussnahme auf die Mindestlohnkommission stößt auf Kritik. Zudem kritisieren Arbeitgeber die Pläne: Sie fürchten steigende Personalkosten in schwieriger wirtschaftlicher Lage. Der Mindestlohn vernichte tausende Jobs – ein Schreckgespenst, das Wirtschaftsverbände auch bei Einführung des flächendeckenden Mindestlohns immer wieder anführten, das so aber nie auftauchte. Was wir stattdessen im Niedriglohnbereich erleben, ist ein gravierender Arbeitskräftemangel trotz Mindestlohn – etwa in Logistik, Handel, Gastronomie. Der weitere Verlauf bei dem Thema ist also offen.
Unser Tipp für Unternehmen: Nicht nur auf gesetzliche Vorgaben warten, sondern proaktiv interne Lohnstrukturen reflektieren. Fragen wie: „Wie weit klaffen bei uns niedrigstes und mittleres Einkommen auseinander?“ und „Welche Lebensrealitäten ermöglichen wir mit unseren Löhnen?“ sollten zentrale Gradmesser für zukunftsfähige Vergütung sein.
Entgelttransparenzrichtlinie: Der Countdown läuft – schon lange
Mit der Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie verspricht die Bundesregierung: „Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit“, bis 2030. Das ist sehr ambitioniert. Unternehmen hoffen auf eine „bürokratiearme Umsetzung“. Doch was so manche als wenig Bürokratie verstehen, kann dennoch tiefgreifende Veränderungen erfordern.
Die Umsetzung verlangt mehr als neue Reportings. Sie erfordert transparente Prozesse, nachvollziehbare Stellenbewertungen (analytisch), bringt neue Rechte für Beschäftigte – und somit auch einen Kulturwandel. Denn Gehaltstransparenz beinhaltet verständliche und nachvollziehbare Entscheidungen, eine Herausforderungen in der Kommunikation. Wer vorbereitet sein will, sollte jetzt klare Kriterien schaffen und kommunizieren, Vergütungsprozesse offenlegen und bestehende Strukturen prüfen.
Unser Tipp für Unternehmen: Gleiche Bezahlung ist längst gesetzlich vorgeschrieben. Viele hätten also schon längst handeln müssen – aus rechtlicher und ethischer Verantwortung. Wer dies noch nicht getan hat, sollte sich sputen.
Fazit: Jetzt ist Zeit für kluge Vergütung
Der Koalitionsvertrag bietet viele Ansatzpunkte – aber auch viele Fallstricke. Unternehmen sind gut beraten, nicht nur auf gesetzliche Neuerungen zu reagieren, sondern sich proaktiv mit ihrer Vergütungspolitik auseinanderzusetzen. Und sich Fragen zu stellen wie:
· Welche Anreize setzen wir?
· Welches Verhalten wollen wir fördern?
· Wie schaffen wir Strukturen, die fordern und fördern?
· Wie machen wir Vergütung transparent und Kriterien klar?
Jetzt ist der Moment, Vergütung ganzheitlich, nachvollziehbar und zukunftsorientiert zu gestalten. Nicht als Reaktion, sondern als Ausdruck unternehmerischer Verantwortung und Weitsicht.

Die Autorin:
Nadine Nobile ist New Pay Pionierin durch und durch. Als Organisationsbegleiterin und als Autorin teilt sie ihre Wissen und ihre Erfahrungen gerne mit allen, um New Pay in die Welt hinauszutragen.
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