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Der EU-Countdown läuft: Was Ihr jetzt für Entgelttransparenz wissen und tun müsst

  • Autorenbild: Nadine Nobile
    Nadine Nobile
  • 2. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 22. Sept.


Bis Juni 2026 müssen Gesetzgeber EU-weit die neue Entgelttransparenzrichtlinie umsetzen. Viele Unternehmen haben die damit verbundenen Pflichten noch nicht auf dem Schirm. Aber Compliance ist nicht alles. Es geht vor allem um Fairness, Nachvollziehbarkeit und die strategische Zukunftsfähigkeit eurer Vergütungssysteme. Wie Ihr jetzt strukturiert starten könnt. 


Ein Wecker, der fünf vor zwölf anzeigt
Die Umsetzung ins deutsche Recht steht noch aus. Für Unternehmen bleibt wenig Zeit zur Umsetzung. Foto: Wix

Die Uhr tickt 

Noch knapp zehn Monate – dann endet die Frist. Spätestens zum 7. Juni 2026 muss die EU-Entgelttransparenzrichtlinie (Richtlinie (EU) 2023/970) in nationales Recht umgesetzt sein. 

Ziel der Richtlinie ist es, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen – durch mehr Transparenz, nachvollziehbare Strukturen und die Beseitigung diskriminierender Gehaltsunterschiede. 

In Gesprächen mit HR-Professionals und Geschäftsführungen wird mir immer wieder bewusst: Viele Organisationen haben die Richtlinie und ihre Umsetzung noch gar nicht auf dem Schirm. Und denen, die sie kennen, ist die Tragweite oft noch nicht klar. Einige glauben, die Richtlinie betreffe nur Unternehmen ab einer bestimmten Größe. Andere denken, es handle sich um administrative Pflichten. Dabei geht es um mehr: um Haltung, Kultur – und die Frage, wie wir Arbeit in Zukunft bewerten und entlohnen. 


Was kommt konkret auf Euch zu? 

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie verpflichtet Arbeitgeber, grundlegende Veränderungen in ihrer Vergütungspraxis vorzunehmen. Diese vier Punkte stehen im Zentrum: 


1. Mindestanforderungen an Vergütungssysteme 


Ihr müsst Vergütungssysteme etablieren, die geschlechtsneutral, objektiv und nachvollziehbar sind – sowohl bei der Höhe des Entgelts als auch bei dessen Entwicklung. Diese Kriterien müssen klar geregelt und für alle Mitarbeitenden zugänglich sein. Es geht darum zu zeigen: was entlohnt wird – was aber auch nicht. 


2. Transparenz im Recruiting 


Schon im Bewerbungsprozess ist in Zukunft offenlegen, wie eine ausgeschriebene Stelle vergütet wird. Konkret: Einstiegsgehalt oder Gehaltsspanne sind spätestens vor dem ersten Gespräch bekanntzugeben – etwa in der Stellenausschreibung oder als persönliche Info durch das Recruiting-Team. Zudem dürft Ihr künftig nicht mehr nach dem aktuellen oder bisherigen Gehalt fragen. 


3. Auskunftsrecht für Mitarbeitende 


Beschäftigte haben ein Recht darauf zu erfahren, wie viel Kolleg:innen in vergleichbaren Tätigkeiten verdienen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht. Ihr müsst einmal jährlich auf dieses Recht hinweisen und innerhalb von zwei Monaten Auskünfte erteilen – strukturell, nicht individuell.  


4. Berichtspflicht zum Gender Pay Gap 


Ab 100 Mitarbeitenden greift eine regelmäßige Berichtspflicht. Wichtig dabei: Die ersten Berichte stehen 2027 an und beziehen sich auf das Geschäftsjahr 2026, nur Unternehmen unter 150 Mitarbeitenden haben noch etwas mehr Zeit. Veröffentlichungen müssen für Mitarbeitende zugänglich sein. Ein Teil der Daten wird über eine offizielle Stelle veröffentlicht. Die Frequenz: 


  • ab 250 Mitarbeitende: jährlich 

  • 150–249 Mitarbeitende: alle drei Jahre 

  • 100–149 Mitarbeitende: erstmals 2031, dann alle drei Jahre 


Liegt der Gender Pay Gap über 5 Prozent und kann nicht anhand objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien erklärt werden, müsst Ihr gemeinsam mit dem Betriebsrat eine Entgeltbewertung starten. 


Warum braucht es dieses Gesetz überhaupt? 

In Gesprächen mit HR-Verantwortlichen und Geschäftsführungen höre ich oft: „Warum diese zusätzliche Bürokratie? Hieß es nicht, der Staat will entlasten?“ Diese Reaktion ist nachvollziehbar. Denn auf den ersten Blick scheint die EU-Richtlinie vor allem neue Pflichten und Aufwände zu bringen. 


Aber: Es geht nicht um Bürokratie der Bürokratie willen. Entscheidend ist das grundlegende Ziel – verankert in Artikel 3 des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Ein faires Gehalt ist kein Nice-to-have, sondern ein Grundrecht


Schon 2006 wurde mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein gesetzlicher Rahmen geschaffen, um Benachteiligung auch beim Entgelt zu verhindern. In § 2 Absatz 1 AGG ist zwar geregelt, dass das Entgelt dem Diskriminierungsschutz unterliegt – aber das Gesetz bleibt an vielen Stellen zu allgemein, gerade im Hinblick auf Vergütungssysteme. 


Das hatte Folgen: Die wenigsten Unternehmen haben ihre Vergütungsstrukturen oder -praxis je überprüft. Es fehlte an konkreten Vorgaben, wie Entgelt fair und diskriminierungsfrei gestaltet werden kann – und an Transparenz darüber, was das in der Praxis bedeutet. 


Andere Länder sind weiter: In Skandinavien beispielsweise etwa gibt es klare Berichtspflichten, Audits und Sanktionsmöglichkeiten. 


Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie schafft nun einen verbindlichen Mindeststandard für alle Mitgliedsstaaten – und bringt damit mehr Klarheit, Verbindlichkeit und Sichtbarkeit für ein Thema, das zu lange unter den Tisch fiel. 


Eine Roadmap: Wie Ihr jetzt klug vorangeht 

Statt kurzfristigem Aktionismus braucht es jetzt Orientierung und Reflexion. Und so könnte Eure Roadmap aussehen:  


1. Haltung und Ausgangssituation klären 


  • Was bedeutet Transparenz für Eure Organisation? 

  • Wo steht Ihr aktuell beim Thema Entgelttransparenz? Wie transparent und nachvollziehbar ist Euer Vergütungssystem? Entsprechen Gehaltsprozesse Euer Organisationskultur? Und mit welcher Haltung und welchem Selbstverständnis wollt Ihr Gehaltstransparenz in Eurer Organisation umsetzen?  

  • Last but noch least: Wie ist es um Euren Gender Pay Gap bestellt?  


2. Zuhören 


  • Befragt Mitarbeitende: Was bewegt sie beim Thema Gehalt? Welche Spannungsfelder sind erkenn- und spürbar? 

  • Nutzt Rückmeldungen, um überhöhte Erwartungen zu erkennen und zu adressieren. 

  • Bezieht Betriebsrat, Führungskräfte und bei Bedarf externe Expert:innen mit ein. 


3. Euer System prüfbar machen 


  • Legt objektive, geschlechtsneutrale Kriterien für Gehaltsentscheidungen fest. Dadurch macht ihr Tätigkeiten miteinander vergleichbar. Die Richtlinie sieht Kriterien wie Verantwortung, Kompetenzen, Arbeitsbedingungen und Belastung vor.  

  • Macht außerdem nachvollziehbar, wie Gehaltsentwicklungen erfolgen – z. B. anhand individueller Leistungseinschätzungen, Kompetenzentwicklung oder Dienstalter.  


4. Auskünfte & Berichtspflichten vorbereiten 


  • Etabliert Abläufe, um Anfragen zügig zu beantworten. 

  • Klärt Zuständigkeiten – und überprüft, ob Eure Datenbasis belastbar ist. 


5. Kommunikation proaktiv gestalten 


  • Gebt Raum für Fragen und Unsicherheiten. 

  • Erklärt, was Transparenz nicht ist: keine vollständige Offenlegung von Gehältern der Kolleg:innen, sondern Nachvollziehbarkeit des Verfahrens, Verlässlichkeit und Fairness. 

  • Zeigt: „Wir nehmen das ernst – und entwickeln uns weiter.“ 


Strategisch statt reaktiv: Warum Transparenz kein Häkchenthema ist 

Reine Pflichterfüllung ist zu wenig. Transparenz als Pflicht zu begreifen, kostet Euch Effizienz, Vertrauen und Glaubwürdigkeit. 


Vergütung ist mehr als ein Zahlenspiel – sie spiegelt Eure Kultur. Mitarbeitende fragen nicht nur: „Was bekomme ich?“, sondern auch: „Warum bekomme ich das?“ 


Portale wie Kununu oder Glassdoor verbreiten Gehaltsangaben – oft ohne Kontext, oft unvollständig. Das schafft Pseudotransparenz, die Unsicherheit verstärkt und Erwartungen verzerrt. 


Deshalb unsere Empfehlung: 

👉 Holt euch die Informationshoheit zurück. Zeigt verständlich, wie und warum Vergütung bei Euch funktioniert – transparent, strukturiert und kulturell verankert. 


Jetzt weiterdenken: Mit unserer Lernreise Entgelttransparenz 


Ihr wollt das Thema vertiefen? Unsere Lernreise Entgelttransparenz bietet Impulse, Praxiseinblicke und Austausch – für alle, die die Umsetzung der Richtlinie angehen möchten. 


Oder schaut in unser Format Gehaltstransparenz in der Praxis – kompakt, praxisnah und voller Inspiration. Hier bekommt Ihr einen Überblick über Gehaltstransparenz im Allgemeinen und die Richtlinie im Speziellen. 


Weitere Informationen zur Richtlinie findet Ihr hier: 🔗 EURichtlinie 2023/970 


Die Autorin


Nadine Nobile ist eine weiße Frau mit blonden kurzen Haaren und einer Brille. Sie trägt ein gelbes Oberteil mit einer schwarzen Jacke drüber. Sie steht vor einer bunten Wand.

Nadine Nobile ist New Pay Pionierin durch und durch. Als Organisationsbegleiterin und als Autorin teilt sie ihre Wissen und ihre Erfahrungen gerne mit allen, um New Pay in die Welt hinauszutragen.







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